IT-Freiberuflerin und Mutter – eine Freiberuflerin im Interview
In den vergangenen Jahren war das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie Gegenstand vieler Debatten. Wie sorgen Unternehmen für eine bessere Basis, damit ihre Angestellten neben der Karriere ebenfalls eine Familie gründen können? Wird eine firmeninterne Kinderbetreuung angeboten? Was passiert, wenn Eltern aufgrund einer Krankheit ihres Kindes zuhause bleiben müssen? Fragen dieser Art beschäftigen viele Arbeitgeber und -nehmer. Doch wie verhält sich das für Freiberufler? Wie bringen junge Mütter die Familie und das Projektgeschäft unter einen Hut?
Wer könnte in diesem Zusammenhang besser berichten, wie sich das freiberufliche IT-Projektgeschäft und Kinder vereinen lassen, als eine freiberufliche Mutter? Aus diesem Grund haben wir ein Gespräch mit einer Freiberuflerin geführt, die es geschafft hat, neben dem IT-Projektgeschäft zwei Kinder großzuziehen. In diesem Beitrag möchte ich Ihnen die Geschichte unserer Gesprächspartnerin erzählen und Sie an ihren Erfahrungen teilhaben lassen.
Freiberuflichkeit zunächst als Notlösung
Zuerst möchte ich Ihnen ein paar allgemeine Informationen über unsere Interviewpartnerin (nennen wir sie hier Frau X.) geben. Frau X. ist Mutter von zwei Söhnen, die mittlerweile 14 und 17 Jahre alt sind. Aktuell arbeitet sie in einem Angestelltenverhältnis und nebenbei zudem als Freiberuflerin. Zum Zeitpunkt der Geburt ihres ersten Kindes befand sie sich ebenfalls in einem Angestelltenverhältnis bei einem Arbeitgeber, der zum damaligen Zeitpunkt in der Krise steckte.
Noch während ihrer Elternzeit kam es aufgrund der wirtschaftlichen Lage zu einem Gespräch, in dem ihr die Kündigung in Verbindung mit einer Abfindung angeboten wurde. Da sie sich noch immer in Elternzeit befand und das Abfindungsangebot alles andere als reizvoll war, lehnte Frau X. dieses ab. Sie entschied, sich noch während der Elternzeit etwas anderes zu suchen und es entstand eine Situation der tiefen Unsicherheit, die Frau X. in unserem Interview wie folgt beschrieb:
„Das war eine tiefe Krise für mich, in der ich auch gar nichts gefunden habe. Und gerade in der IT verlieren Sie den Anschluss, Sie will dann auch einfach keiner mehr […]. Das ging so weit, dass ich mich sogar als kostenlose Praktikantin anbot, damit man mich kennenlernt und vielleicht dann zugreift.“
Die Lage wurde in dieser Phase zunächst nicht einfacher. Frau X. begann, ihre Fühler auch in Richtung Freiberuflichkeit auszustrecken, doch viele Unternehmen hatten zu dieser Zeit wirtschaftliche Probleme und konnten keine externe Unterstützung einkaufen.
Der Start in die Freiberuflichkeit
Der Lichtblick war dann ein Kontakt, der über Beziehungen entstand. So kam es noch während der Elternzeit zum ersten Einsatz als IT-Freiberuflerin mit den maximal 30 erlaubten Arbeitsstunden pro Woche.
„Im Nachhinein fand ich das richtig toll von der Firma, dass sie mir das ermöglicht haben.“
Nachdem die Elternzeit vorbei war, entschied sich Frau X. dann endgültig, ihren alten Arbeitgeber zu verlassen. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, waren Aussagen von Seiten des Arbeitgebers wie „Verklagen Sie uns doch, wir haben bereits gegen mehrere Frauen gewonnen“. So stand der Entschluss einer Veränderung fest. Diesen Übergang von der Festanstellung zur freiberuflichen Tätigkeit empfand Frau X. dann im Vergleich zur vorherigen Krise als relativ einfach:
„Der Sprung ins kalte Wasser ist für mich dann aber ausgeblieben, weil ich die Existenzängste ja ohnehin bereits hatte. Die Frage, ob ich im IT-Geschäft wieder etwas finde und die Belastung, unsere Doppelhaushälfte nur als Doppelverdiener halten zu können, hatte ich ja vorher schon. Daher war es nicht der Sprung in etwas Ungewisses, sondern eher die Rettung aus einer langen Durststrecke ohne Job.“
Wie funktioniert das Konstrukt Freiberuflerin und Mutter?
Nun war Frau X. Mutter eines kleinen Sohnes und am Beginn einer Freiberuflichkeit in der IT-Branche. An dieser Stelle interessiert es uns natürlich sehr, wie die Mutterschaft die Tätigkeit als Freiberuflerin beeinflusst. Wie reagieren Kunden auf eine Freiberuflerin, die zugleich Mutter ist? Wie kann dieses Konstrukt funktionieren?
„Da habe ich total Glück gehabt. Von meinem ersten Kunden wurde ich zum einen aus reiner Verzweiflung eingekauft und zweitens kam dieser Kontakt über persönliche Beziehungen. Dadurch wusste der Kunde von Anfang an, dass ich junge Mutter bin. Außerdem habe ich für eine lückenlose Kinderbetreuung gesorgt.“
Die Möglichkeit einer guten Betreuung des Kindes spielt für Frau X. eine entscheidende Rolle. Um die erste Zeit zu überbrücken, hatte sie die Möglichkeit, sich von ihrer Mutter unterstützen zu lassen, bis sie eine Kinderbetreuung fand. Die spätere Betreuerin ihres Sohnes fiel insgesamt nur zweimal aufgrund von Krankheit aus. Aber selbst in diesen beiden Fällen, in denen Frau X. bei ihrem kranken Sohn Zuhause blieb, stieß sie bei Ihrem Kunden auf Verständnis:
„Da war das Vertrauensverhältnis dann schon so groß […]. Das ist aber genau der Moment, wo es für Mütter schwierig wird. Lernt mich ein Kunde neu kennen, will er mich meist in Vollzeit und vor Ort haben. Ein Kunde, der mich schon kennt, lässt sich dagegen auf vieles ein, weil er weiß, dass ich seine Probleme löse.“
Frau X. hat die Erfahrung gemacht, dass ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Kunde und freiberuflicher Mutter Gold wert ist. Dann ist es für einen Kunden auch kein Problem, wenn die externe Unterstützung in Teilzeit und remote erfolgt. Doch auch hier schlummert eine Gefahr: der Vorwurf der Scheinselbstständigkeit. Hier sollten Sie immer darauf achten, dass neben dem Langzeit-Kunden auch immer wieder andere Auftraggeber in den Vorzug Ihrer Dienstleistungen kommen.
Der Kunde darf nicht darunter leiden, dass ich Mutter bin
Das Vertrauensverhältnis spielt folglich eine sehr große Rolle, wenn es darum geht, IT-Projekte und Kinder miteinander zu vereinen. Vertrauen beruht aber immer auf Gegenseitigkeit, weshalb Frau X. auch explizit darauf hinwies, dass sie genauso wenig wollte, dass ihr Kunde unter ihrer Mutterschaft zu leiden hat.
„Der Kunde wusste zwar schon auf was er sich mit mir einlässt, aber ich habe auch dafür gesorgt, dass er nicht darunter zu leiden hat. Das war mir immer wichtig. Der Kunde soll nicht zurückstecken, weil er die Großherzigkeit hat, mich als Mutter zu beauftragen.“
Das beschrieb unsere Gesprächspartnerin mit einem bestimmten Mindset:
„Für mich war das Mindset sehr wichtig, dass wenn ich wegen den Kindern Zuhause geblieben bin, ich auch kein Geld verdient habe. Das war für mich eine faire Lösung.“
Keine Leistung – kein Geld
Als Freiberufler wird anders als im Festangestelltenverhältnis, wo auch Urlaub eingeräumt wird, wenn das Kind krank ist, eine Entscheidung verlangt. Wird nicht fakturiert – und zwar unabhängig des Grundes – gibt es keine Leistung, die entlohnt wird. Hier fügte Frau X. noch folgendes hinzu:
„Es kommt natürlich auch auf die Projektphase an. Ist es gerade sehr stressig, tut es dem Kunden ja auch weh, wenn ich nicht unterstütze. Da gehe ich dann auch anders damit um. Deswegen bin ich auch bewusst damals nicht in diese Projekte gegangen, auch wenn das natürlich die interessanteren Tätigkeiten gewesen wären.“
Frau X. war bewusst, dass es immer passieren kann, dass sie als Mutter beispielsweise aufgrund von Krankheit bei ihrem Kind bleiben muss. Das war auch immer ihre Priorität. Da aber gerade die inhaltlich reizvollen Projekte Phasen haben, in denen ein Ausfall weitreichende Folgen für den Projekterfolg und damit für den Kunden haben kann, hat sie sich dafür entschieden, dies keinem Kunden zumuten zu wollen. Die Folge war für sie die Akquise von wenig interessanten Projekten –zum Wohle ihrer Kinder und ihrer Kunden. Immer nach der Devise:
„Ich mache nur Sachen, bei denen ich auch fehlen kann. Sodass es niemandem weh tut, wenn ich mal ausfalle […]. Ich habe mir dann beispielsweise Programmier- oder Supportaufgaben gesucht, die ich einfach abarbeiten konnte. Das ging zum Großteil dann auch remote“.
Auf welche Reaktion stößt das Muttersein bei der Kundenakquise?
Wie verhielt es sich nun bei der Kundenakquise? Wie reagieren potenzielle Kunden beim ersten Kennenlernen auf das Detail des Mutterdaseins?
Fangen wir ganz von vorne an: beim ersten Kundenkontakt. Wie darf man sich das im ersten Interview mit einem künftigen Auftraggeber vorstellen? Frau X. hat stets von Anfang an mit offenen Karten gespielt. Wie waren die Reaktionen auf Kundenseite?
„Hier gab es unterschiedliche Reaktionen. Ich hatte mal ein Vorstellungsgespräch, das auch super verlief, ich das Projekt aber letztlich nicht bekam, weil mein Gegenüber meinte, er würde mich super gerne nehmen, aber die Kollegen im Projekt würden ihn auslachen und fragen, ob er noch ganz richtig tickt.“
Ein anderer Kunde reagierte mit der Frage „Wie wollen Sie das überhaupt hinkriegen?“.
Frau X. erkannte, dass neue Kunden einer jungen Mutter als Projektmitarbeiterin erstmal sehr kritisch gegenüberstehen. Deshalb unternahm sie bei einem Kunden recht drastische Maßnahmen und bot ihre Unterstützung zu einer Entlohnung an, die eher einem Praktikanten als einem IT-Freiberufler entsprach. So gab sie ihrem Kunden die Möglichkeit in der Anfangsphase zu sehen, wie die Zusammenarbeit mit ihr als Mutter funktioniert und zu einem späteren Zeitpunkt über eine höhere Bezahlung zu sprechen. Frau X. beschrieb dies mit folgenden Worten:
„Ich sah das als cleveres Angebot nach dem Motto: Was hilft es mir, wenn ich für Null Euro Zuhause sitze oder mir zumindest die Fahrtkosten bezahlen lasse, denn mehr war es am Ende nicht, und am Ende aber ein Projekt habe, wenn es später weitergeht.“
Was mache ich bei unerwarteten Zwischenfällen?
Der Kunde ließ sich tatsächlich auf dieses Angebot ein. Doch wie sollte es auch anders sein – Frau X. wurde schnell auf die Probe gestellt. Der Kindergarten ihres Sohnes streikte und von der Gewerkschaft kam nur die Aussage „Naja, da wird man doch auch mal was organisieren können. Fragen Sie doch mal bei den anderen Müttern.“ Frau X. erzählte uns, wie sie diese Situation empfand und was sie unternahm:
„Da habe ich wirklich Blut und Wasser geschwitzt. Es gab zum Glück einen privaten Kindergarten, da stand ich dann morgens um 6 Uhr auf der Matte, um eine der ersten zu sein, die einen der wenigen freien Plätze ergattert.“
Während der ersten Zeit bei ihrem neuen Kunden hatte Frau X. häufiger schlaflose Nächte, weil sie befürchtete, dass sie am nächsten Tag bei ihrem Kind bleiben müsste und bei ihrem Kunden auf Unverständnis stößt. Diese Angst hat sich aber glücklicherweise nicht bewahrheitet. Mittlerweile blickt Frau X. auf eine über zehnjährige Zusammenarbeit und ein traumhaftes Vertrauensverhältnis mit besagtem Kunden zurück.
Bietet die Freiberuflichkeit mehr Flexibilität für die Familie als eine Festanstellung?
Viele Leute setzen eine freiberufliche Tätigkeit mit wahnsinnig viel Flexibilität gleich. Ein häufiger Gedanke lautet: Ist man sein eigener Chef, kann man sich ja immer aussuchen, was man machen möchte. Gerade mit Familie muss dieses Arbeitsverhältnis viele Vorteile mit sich bringen. Doch ist das tatsächlich so? Diese Frage haben wir unserer Interviewpartnerin direkt gestellt.
„Ein mega dickes Ja, absolut. Seitdem ich jetzt wieder festangestellt bin, hat sich vieles verschlechtert. Das Hauptkriterium für eine freiberufliche Tätigkeit ist die Flexibilität […]. Die Möglichkeit, selbst die Entscheidung darüber zu treffen, ob ich morgen bei meinem Kind bleibe oder nicht, ist unbezahlbar.“
Wie funktioniert das aber, wenn der Kunde diese Flexibilität nicht geben möchte?
„Als die Kinder klein waren, hatte ich das Glück, dass die Kunden schnell wussten, was sie an mir hatten und mir hier entgegengekommen sind. Hätte ich diese langen und guten Kundenbeziehungen mit dem hohen Vertrauen aber nicht gehabt, hätte ich das nicht hingekriegt.“
Tipps für werdende Mütter in der Freiberuflichkeit
Zum Abschluss nennt Frau X. noch ein paar Tipps, die sie ihren Mitgenossinnen geben möchte.
„Ich weiß nicht, ob als Mutter mit einem kleinen Baby der Neueinstieg in die Freiberuflichkeit so gut ist. Mit einem vorhandenen Kundennetzwerk mag das funktionieren, ansonsten ist das schwierig. Und ich benötige ein Supporter-Netzwerk. Sollten Sie dann noch von einem Schreikind überrascht werden, ohne eine Unterstützung durch ein soziales Netzwerk, haben Sie ein Problem. Denn wenn Sie dann noch zu lange weg sind vom Fenster, verlieren Sie den Anschluss in der IT-Welt. Am besten haben Sie Unterstützung in der Verwandtschaft oder eine tolle Tagesmutter.“
Wie anfangs erläutert, startete Frau X. durch einen persönlichen Kontakt in die Freiberuflichkeit. Ein Beginn ohne bestehendes Kundennetzwerk ist in jedem Fall nicht leicht. Ein kleines Kind Zuhause vereinfacht die Situation mit Sicherheit nicht. Aus diesem Grund sollten Sie überlegen, schon zuvor Fuß im Freiberuflergeschäft zu fassen oder sich zumindest ein Netzwerk an potenziellen Kunden aufzubauen.
Ist dieser Einstieg geschafft, sind 2 Dinge zentral: Eine gute Betreuungsmöglichkeit für Ihr Kind sowie ein gutes Vertrauensverhältnis zu Ihrem Kunden. Diese beiden Punkte ermöglichen es einer jungen Mutter, auch mit Kindern eine nach wie vor sehr gute Arbeitsleistung zu erbringen und ihren Kunden sowie ihre Familie glücklich zu machen.
Es ist möglich, beides unter einen Hut zu bekommen
Gleichzeitig IT-Freiberuflerin und Mutter, das stellen sich viele mit Sicherheit nicht leicht oder sogar unmöglich vor. Dank unserer Gesprächspartnerin wissen wir aber nun, dass dies doch möglich ist und sogar Vorteile bietet, wenn der Einstieg erstmal geschafft ist.
In diesem Sinne möchten wir uns noch einmal herzlichst bei unserer Gesprächspartnerin für das Interview, die investierte Zeit und die Offenheit bedanken. Ohne diese Unterstützung wäre der Beitrag nicht möglich gewesen. Dankeschön!